„Ffffffffcccchhhhhht.“ Dieses Geräusch kenne ich von früher. Es entsteht, wenn man die Luft durch die Zähne presst und zu verstehen gibt, dass etwas zügig und ohne Widerrede funktionieren soll. Ich habe es bei der NVA gehört und heute wieder an der polnisch-weißrussischen Grenze. Eine junge Grenzpolizistin hat es gemacht, mir dabei meine Papiere in die Hand gedrückt und zu verstehen gegeben, dass ich gefälligst handeln soll. Es fehlte – eine Krankenversicherung für Weißrussland. Mein in englischer Sprache vorgebrachter Einwand, ich hätte eine solche Versicherung schon, hat nicht geholfen. Weißrussischer Befehlston – ich habe gehorcht. Einen Euro pro Tag kostet dieses Papier und ich stelle mir nun vor, wie ich von zwei Medizinern zugleich begutachtet werde, die sich nicht verstehen – ein weißrussischer Arzt, den die weißrussische Versicherung bezahlt und ein deutscher, den die Barmer geschickt hat, um meine (von der Straße aufgekratzten) Reste nach Deutschland zu überführen…
Bevor hier irgendwelche Sorgen aufkommen – das wird nicht nötig sein, alles funktioniert aufs Beste. Nach fast zwei Stunden an der Grenze, bei der die Wartezeit auf weißrussischer Seite den weitaus größten Teil ausgemacht hat, bin ich in Grodno angekommen und habe – der Handytechnik sei Dank – ganz schnell und unkompliziert Kontakt bekommen zu meinen Gastgebern. Nun sitze ich in „meinem“ Zimmer, hämmere diesen Text in den Computer und lasse die abendliche Stadtrundfahrt im VW Golf Revue passieren.
Grodno hat etwa 350.000 Einwohner und wirkt – vor allem im Zentrum – sehr aufgeräumt. Breite Straßen (auf denen R1-Fahrer schon mal im Wheelie vorbeiziehen), ziemlich wenige Fußgänger, auch kein übermäßiger Verkehr. Manchmal habe ich mich heute gefragt, wo all die Einwohner sind. Die katholische Kirche hat hier eine starke Position, insbesondere durch die polnische Geschichte der Stadt und die Nähe zum Heimatland von Papst Johannes Paul II. Deshalb haben die zwei großen katholischen Kirchen im Zentrum auch zu Sowjetzeiten gearbeitet, hat mir mein Stadtführer und Gastgeber Igor Grigus erklärt. Und dann hat er mir die kleine evangelische Kirche gezeigt. Sie hat praktisch „Blickkontakt“ zur russisch-orthodoxen Hauptkirche der Stadt, steht mitten im historischen Zentrum in direkter Uni-Nachbarschaft. Vor reichlich 230 Jahren wurde hier die evangelisch-lutherische Gemeinde gegründet. Die Kirche hat – wie so viele in der Ex-Sowjetunion – eine ganz besondere Geschichte. Sie war 50 Jahre lang Gebietsarchiv, dazu war eine neue Etage in das Gebäude eingezogen worden. Man kann sie heute noch erahnen. Außen pfui, innen hui – das Gebäude ist Denkmal, wird gepflegt und Sonntag für Sonntag zum Gottesdienst belebt. Das lässt das Äußere nicht wirklich erahnen, da müsste wohl investiert werden. Der Putz blättert ab, Farbe fehlt… Das nächste große Projekt ist aber erst einmal die Orgel. Wie ein Gottesdienst hier ohne Orgel klingt, werde ich morgen erleben, danach geht’s nach Minsk weiter.