Motorrad

Platz für den Kapitän

Raumgreifender "Dampfer" mit Ehrfurcht einflößenden Ausmaßen - die Super Ténéré. Foto: Jan Frintert

„Schiffsdiesel“, hat jemand gesagt. So klingt das Wummern aus den Tiefen des Zweizylindermotors, vermischt mit dem müden Auspuffsound. Schiffsdiesel! Das trifft es genau und ist zugleich Lob und Tadel. Doch von Anfang an! Eine Testtour mit Yamahas Enduro-Flagschiff steht an, der XT 1200 Z Super Ténéré ABS. Zunächst gilt es, die Kommandobrücke zu erklimmen. Sie  hat immerhin 870 Millimeter Sitzhöhe, die bei Bedarf mit wenigen Handgriffen auf 845 Zentimeter reduziert werden können. Ausgesprochen bequem thront man hinterm Steuer dieses mächtigen Dampfers, dessen Größe erst so recht bewusst wird, wenn man die Arme ausgestreckt hat zum breiten Lenker und das Schiff in Startposition steht. Ein Druck auf den niedlichen kleinen Starterknopf erweckt zunächst nur den Anlasser zu Leben, der mühsam mehrfach dreht, bevor der Motor in Gang kommt. Er war beim Test dieser Aufgabe aber stets gewachsen. Und dann geht es los – rumm rumm rumm rumm tönt es von unten. Signal an die Kommandobrücke – der Diesel läuft. Klock – das Getriebe ist eingekuppelt, der Kardan im Heck betriebsbereit. Ein paar Millimeter die Kupplung kommen lassen und das Yamaha-Flagschiff legt los. Und wie! Massig Drehmoment – in der Spitze reichlich 114 Nm bei 6000 Umdrehungen – steht sofort zur Verfügung. Ohne mit dem Heck auch nur irgendeine kardantypische Bewegung zu machen (und das ganz ohne die bei BMW übliche Drehmomentabstützung) legt der Dampfer ab.

Aus dieser Perspektive fotografiert macht Yamahas große Reiseenduro eine gute Figur.

Der Schiffdiesel tut seine Arbeit und nur ganz selten beim leicht untertourigen Betrieb hat man das Gefühl, dass die Ride-by-wire-Kommandos im Maschinenraum ein wenig verspätet ankommen. Letztlich ist der Kapitän aber jederzeit Herr der Lage und der Ozeanriese pflügt dermaßen selbstbewusst durch den Verkehr, dass sogar Dosenfahrer ehrfurchtsvoll Platz machen. Bis zu 200 Stundenkilometern geht das so. Selbst bei zügiger Gangart schiebt der Motor kräftig dank 110 PS. Kurz über der 7000er Drehzahlmarke ist aber Schluss, mehr mag man dem Trumm auch nicht wirklich zumuten. Dieseltypisch eben, viel Drehmoment schon im Keller und fast über das gesamte Drehzahlband. Eine kommode Reisegeschwindigkeit scheinen 160 oder gar 170 Stundenkilometer zu  sein. Dank der mächtigen Scheibe stört kein Lüftchen auf der Kommandobrücke.

Doch entspannte Kilometerfresserei ist nicht die einzige Stärke der Super Ténéré. Auch bei halber Fahrt oder weniger zeigt der Dampfer keine Schwächen. Sehr genau lässt sich das 1200 Kubikzentimeter große Antriebsaggregat mit dem Gasgriff steuern, die zwei unterschiedlichen Fahrmodi „S“ für Sport und „T“ für Touring sind zwar ganz nett, aber überflüssig. Auch im S-Modus lässt sich die Motorkraft exakt dosieren. Und noch etwas zu den elektronischen Helferlein – völlig unauffällig versieht die dreistufige Traktionskontrolle schon im Standardmodus „TCS 1“ ihre Arbeit, ebenso die Kombibremse mit ABS. Beide Systeme konnten selbstverständlich bei einer 250 Kilometer langen Straßentestfahrt im regulären Verkehr nicht ausgereizt werden. Allerdings vermittelt schon das Wissen um die Wirkung der Kombibremse, die beim Zug am Bremshebel elektronisch die Bremskraft pro Rad in Abhängigkeit von Fahrsituation und Motorradbeladung regelt, ein tolles Sicherheitsgefühl. So ankert das Schiff jederzeit nachdrücklich und zugleich kontrolliert. Souverän kann sich der Kapitän dann von der Brücke schwingen, die übrigens ein besonders wohliges Zu-Hause-Gefühl vermittelt dank des mächtigen Tanks und der Kunststoffverkleidungen zwischen Schiffsführer und Motorradbug. Satte 22 Liter fasst das Spritfass und dank Einspritzung lässt sich die Maschine äußerst sparsam bewegen. Während also die Kollegen noch tanken, kann der Ténéré-Kapitän dank Bordcomputer gerade mal den Durchschnittsverbrauch, den Momentverbrauch und ähnlich wichtige Daten abfragen. Leider übrigens nur per Tastendruck im Cockpit selbst, eine „Fernbedienung“ vom Lenker aus wäre schön.

Ebenfalls nur manuell lässt sich die Frontscheibe verstellen – das ist nicht state of the art! Und da wir schon mal bei Kritik sind – der Chef an Bord kann froh sein, dass er die grausige Auspuffverkleidung nicht ständig im Blick hat. Dieses Plastemonster ist eine optische Beleidigung  – (selbst) BMW hat das an der „1200 GS“ deutlich besser gelöst. Noch nicht einmal der Auspuffsound entschädigt dafür, Akrapovic hat aber eine Abgastüte im Programm, die für deutlich kernigeren Sound sorgt, teilte der Schiffseigner mit.

Auf der linken Seite der Maschine beleidigt viel Kunststoff das Auge, ...
...die rechte Seite ist deutlich besser gelungen.

Das Fazit: Yamahas große Reiseenduro ist in Fahrt eine Wucht, wobei man ihr ihre 260 Kilo Gewicht nicht anmerkt. Auch im Stand flößt der Tanker Respekt ein, er ist schlicht jeder Situation gewachsen. Fahrspaß vermittelt die „Ténéré“ allerdings nur bedingt. Dazu ist das Gerät einfach zu ausgewogen. Das kann man mögen, muss man aber nicht. Gerüchten zufolge drohen Ténéré-Kapitäne auf der Kommandobrücke schnell einzuschlafen. Wer ein reisetaugliches Motorrad mit viel Stauraum sucht, das sich entspannt fahren lässt und in Sachen Technik der deutschen Konkurrenz problemlos das Wasser reichen kann, ist mit der Yamaha gut bedient. Wer ein Motorrad mit Charakter sucht, dass das Adrenalineimerchen schon beim Anblick umkippen lässt, muss dagegen weitersuchen.

  • Die Testmaschine, die aus der ersten Generation der aktuellen Ténéré-Serie stammt, hatte bereits knapp 20000 Kilometer auf dem Tacho. Sie ist im Bestzustand und als Gebrauchtmotorrad beim AK-Zweiradcenter in Dresden zu haben. Auf Koffer- und Topcasetransport wurde bei diesem Test verzichtet, die Beigaben liegen aber im Laden bereit. Hans Kallich an dieser Stelle herzlichen Dank für die Mitwirkung beim Test – er hat die Maschine zur Verfügung gestellt.
  • Auch schon getestet: BMW R 1200 GS und BMW F 800 GS.

5 Comments

  1. @Christoph
    Toller Bericht. Man könnte fast meinen, als Mitfahrer dabeigewesen zu sein. Allein optisch vermittelt das Mopped den Eindruck eines soliden Langstreckentankers. Allerdings scheint es wesentlich einfacher steuerbar. Wenn es sich bei der Kunststoffverkleidung am Auspuff nicht um noch nicht entfernte Verpackungsreste der Anlieferung handelt, bekommt man wirklich Augenkrebs.

    @Jan
    Bei aller Professionalität, Vorsicht und Erfahrung, nicht jeder möchte, dass ihm beim Fahren die Hosen davonfliegen. Insofern wird der bequeme aber ausgegelichene Tourer mit Sicherheit seine Freunde finden. Besonders auf den langen Strecken.

    VG @all
    S’sleeper

  2. Die Fahrmodis “S” für Sport und “T” für Touring haben nix mit dem Motor zu tun – mein lieber Christoph, eher mit dem Fahrwerk – dies nur nebenbei 😉
    Ob Du „chopperlastiger“ (nur selten mit meiner geliebten MZ unterwegs seiender) Redakteur dafür der Richtige bist, hatte ich bezweifelt. Aber vielleicht bist Du genau der Richtige – denn so bekommt man ein halbwegs „objekties“ Bild.
    Ich hätte ja eine Idee – eine Testttour mit mehreren vergleichbaren Modellen – über 2 Tage – jeder kann jede Stunde das Modell wechseln und soll am 2.Tag einfach aus dem Bauch heraus sagen – welches Mopped ihm (emotional) am Besten gefallen hat…

    Aber auch dies – nur nebenbei 😉

    1. Die Testtour klingt interessant und ist so auch nicht ganz neu. Neu wäre wohl, man würde dies nicht mit Motorrädern eines Herstellers machen, sondern mit Motorrädern einer Fahrzeugklasse – zum Beispiel parallel mit der R 1200 GS, der Ténéré, der Tiger Explorer, der Ducati Multistrada, der Stelvio-Guzzi etc. Das ist aber wohl – so fürchte ich – kaum zu organisieren.
      Die Fahrmodi „S“ und „T“ werden bei der Super Ténéré durch einen Schiebeschalter rechts am Lenker aktiviert. Das Yamaha D-Mode System (das steht wohl für drive mode) verändert daraufhin elektronisch das Motorkennfeld, so dass man wählen kann zwischen „sehr direktem Ansprechverhalten des Motors, der sich für extrem sportliches Fahren anbietet und dem T-Modus, der eine etwas gemäßigtere, weichere Leistungsentfaltung bietet“ (O-Ton Yamaha).
      Und falls Dir am Wochenende in der Sächsischen Schweiz eine mattschwarze 1000SF begegnet, dann grüß mal (ausnahmsweise).

  3. Huuui – dann macht Yamaha das wohl anders – mit den verschiedenen Modis…
    So eine Testtour meinte ich, vergleichbare Modelle von verschiedenen Herstellern – bin bereits beim Organisieren… 😉

    Und – MZ grüße ich IMMER! 😉

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