Motorrad

Russische Weite

Hier gehts nach 22 Kilometern noch weiter zehn exakt geradeaus.

Wenn Straßen zig Kilometer weit schnurgerade durch die Landschaft laufen, wenn gleichzeitig ein gigantischer See und mehrere Dutzend Flüsse die Reise begleiten, wenn Tankstellen auch mal Mangelware sind und Ortschaften ganz fehlen, dann ist man in Russland. Russische Weite – manche mögen das. Bei schönem Wetter ist sie ein Genuss, bei Regen nur schwer zu ertragen. Heute war die russische Weite ein Genuss und das Wetter prächtig. Gleich nach Jaroslawl – auf der Ostseite der Wolga – grüßte die Sonne zum ersten Mal aus den sich langsam auflösenden Regenwolken des Vortags. Die Entscheidung, nicht lange auf der „Autobahn“ M8 zu bleiben, war goldrichtig. Zwar war die dann genutzte Straße mitunter gerade mal gut genug für 60 Stundenkilometer, zumeist aber konnte man mit reichlich 80 km/h über das teils kräftig aufgerissene Beton- und Asphaltband fahren. Zwei Hände hohe Querrippen haben das Vergnügen zwar ab und an unterbrochen, insgesamt war es aber doch ein tolles Erlebnis, durch hübsche Kurven und über freundliche Hügel durch die Landschaft zum Rybinsker See zu gleiten. Dieser See ist mehr als 100 Kilometer lang und wohl wenigstens halb so breit. Die Wolga fließt aus Südwesten kommend in den See und verlässt ihn in Richtung Südosten wieder. Große Frachtschiffe fahren auf dem See und man kann am Rand sehen, dass der Wasserspiegel um mindestens 30 Zentimeter schwankt. Derzeit ist er niedrig.

Natürlich gibt es keine Chance, den See zu queren, man muss ihn umfahren. Nach Norden, dann kurz nach Westen, dann auf der A114 – einer besseren Bundesstraße, die abschnittsweise saniert wird und bei der man kilometerweit das Fahren auf der abgefrästen Oberfläche üben kann. Orte sind auch dort selten, besser, man steuert die mitunter mehr als 100 Kilometer voneinander entfernten Tankstellen auf jeden Fall an. Dabei finden sich auch Tankstellen russischen Typs. Ohne festen Boden, mit aufgesetzten Tanks in kleinen Hüttchen und Tanksäulen, die noch analog wie Uhren funktionieren. Die Spritausgabe startet, nachdem man kräftig auf einen großen Metallknopf geschlagen hat. Dann kommt genau die Menge Benzin aus der Zapfpistole, die man zuvor bestellt und (an einem vergitterten Fenster) bezahlt hat. „An“ und „aus“, mehr kann die Zapfpistole nicht. Die Dosierung ist auf diese Art reine Gefühlssache. Ich habe auch schon Fahrzeuge gesehen, aus deren Tanköffnung der Sprit munter heraussprudelte…

Russisch tanken – dafür brauchts keinen Ölbascheider, es genügt auch nicht befestigter Boden.

Die Suche nach einem Nachtquartier sollte heute eigentlich nach etwa 400 Kilometern Fahrstrecke beginnen. Hat sie auch. Gefunden habe ich ein akzeptables Quartier aber erst nach 610 Kilometern Fahrt. „B&B“ steht draußen dran an dem kleinen Gebäude, das Motorrad wird heute nach hinter einem schweren Stahltor von einem böse dreinblickenden Hund bewacht. Zum Abendessen gabs preiswerten Borschtsch, Pelmeni und einen Länderspielsieg der Sbornaja gegen Luxemburg.

Bis morgen in St. Petersburg!

Am Fotostandort ganz oben eröffnet sich beim Blick nach links – schier endlose Weite.