Dies war ganz sicher die längste Autoreise dieses Jahres und vielleicht auch die eindrucksvollste. Eine Reise an den Rand der Ukraine.
Die Herausforderung war groß, der Aufwand unterschätzt, die Verantwortung immens und das Ergebnis erfreulich. Drei Dresdner, darunter eine gebürtige Ukrainerin aus Dresden und eine junge Frau aus Dnepropetrowsk, sind am Sonnabend Richtung Ukraine aufgebrochen. Zurück kamen drei Tage später drei Dresdner, darunter die gebürtige Ukrainerin aus Dresden, zwei geflüchtete Frauen aus Mykolaiv, ein Hund und eine Katze. Dort geblieben sind die 22-Jährige aus Dnepropetrowsk und Spenden.
Frischer Streuselkuchen und ein Bier
18.30 Uhr am 16. April: Aufbruch nach einer knappen Stunde Autobeladung, einem Bier und frischem Streuselkuchen, den mein Bruder und seine Kinder gebacken haben. Mit ihrem Auto, einem Mercedes Vito mit langem Radstand, machen wir uns auf den Weg in Richtung Ukraine. Eineinhalb Tage später müssen wir angekommen sein, so der Plan. Auf dem Weg dorthin nehmen wir Elina mit, eine 22-jährige Ukrainerin, die vor rund einem Monat aus ihrer Heimat geflüchtet ist und jetzt in Pirna lebt. Sie möchte zurück, um ihre Mutter aus der Ukraine zu holen. Czernowitz ist ihr Ziel, obwohl sie eigentlich aus Dnepropetrowsk stammt. Ihre Familie ist inzwischen in die Stadt in der Westukraine geflüchtet. Als wir Elina in Pirna treffen, hat sie schon ein Zugticket für die Fahrt von Odessa nach Czernowitz in der Tasche.
Google hat unsere Fahrtroute errechnet. Der Vorschlag aus dem Internet für eine möglichst zeitsparende Strecke: Wir fahren Autobahn so weit es geht, nehmen den Karpatenbogen in Rumänien zwischen Sibiu und Buzau und kommen dann von Südmoldawien aus an unser Ziel. Das ist das Dörfchen Palanca an der moldawisch-ukrainischen Grenze. Die Autobahnmaut dürfen wir uns in Tschechien und Ungarn nach Kontakt mit den Behörden sparen, Hilfstransporte bekommen eine Sonderbehandlung. In der Slowakei hätten wir dafür das Innenministerium anschreiben müssen, dafür war zu wenig Zeit. Also haben wir 10 Euro Maut dort und zusätzlich 3 Euro Maut in Rumänien in Kauf genommen.
Fahrer Alexander Schneider, ein Kollege bei der Sächsischen Zeitung, fängt an und steuert den Vito zunächst bis tief nach Tschechien hinein. Prag ist schnell erreicht, draußen ist es inzwischen dunkel. Durch die Nacht fahren wir weiter Richtung Slowakei. Zwar erwischt uns an der slowakischen Mautstation um Mitternacht ein „technical break“, der dauert aber nur 15 Minuten und so verlieren wir nicht viel Zeit, bevor es weitergeht in Richtung Bratislava. Wir haben die Sitze gewechselt, Alex erholt sich und ich steure den Vito nach Ungarn. Györ, Budapest, Szeged lautet die weitere Reiseroute. Die ungarischen Autobahnen sind diesem Sonntagmorgen nur wenig befahren. „70 Liter passen in den Tank, das reicht für etwa 800 Kilometer“ hat mir mein Bruder mit auf den Weg gegeben. Beim ersten Tankstopp nach 798 Kilometern füllen wir 69,66 Liter in den Spritbehälter des Vito. Bis in die Nähe von Kecskemet sind wir ohne Nachfüllung gekommen.
Hochbetrieb an der Tankstelle und ein verwaister Flughafen
Nun ist Alex wieder der Fahrer. An der Grenze zu Rumänien überrascht uns die Passkontrolle. Zwar gehört das Land zur EU, doch es ist noch nicht Mitglied des Schengen-Abkommens, ergibt später eine Abfrage im Internet. Deshalb sind dort an der Grenze auch jetzt noch Personenkontrollen nötig. Es geht schnell und wir fahren weiter Richtung Arad. Die nächste Überraschung ist eine Tankstelle, die aus zwei Containern besteht. Einem mit einer Zapfanlagen für Benzin und Diesel und einem mit Kasse und Minishop. Später lernen wir – das gibt es öfters, es war also eine ganz normale Tankstelle. Davor: reges Treiben. Bis unters Dach beladene Transporter kommen an, aus denen ganze Sinti und Roma-Familien aussteigen – die Frauen in einfacher Tracht und trotz Temperaturen um den Gefrierpunkt und eisigen Windes barfuß in hochhackigen Schuhen. Uns fröstelt schon bei diesem Anblick… Die Männer diskutieren lautstark, rauchen viel und manövrieren ihre in die Jahre gekommenen Autos durchs Fahrzeuggewirr, zu dem auch Sattelzüge und ein paar Pkws gehören.
Und noch eine Überraschung – der Flughafen Arad. Eigentlich wollten wir Geld wechseln am „Aeroportul Arad“. Zwei große Maschinen sind schon von Weitem auf dem Rollfeld zu sehen, beide ohne Fluglinien-Aufschrift und mit verschlossenen Triebwerken. Der Eindruck, dass dies für eher wenig Betrieb spricht, bestätigt sich vor dem Terminal 1. Es hat schon bessere Zeiten erlebt und ist an diesem Ostersonntag-Morgen komplett verwaist. Auch in der Innenstadt haben wir kein Glück und so hebt Alex mit seiner Geldkarte am EC-Automaten Leu im Wert von 100 Euro ab (Hinweis an mich: Spenden künftig besser aufs Konto einzahlen und Abhebe-Rahmen der EC-Karte erweitern). Damit bezahlen wir schließlich an einer Tankstelle Ostersonntag-Cappuccino für die komplette Autobesatzung. Es ist nach zwei Mal Maut und ein Mal Diesel die vierte Reiseausgabe vom Spendengeld. Dann fahren wir weiter in Richtung Karpaten.
Hohe Berge und enge Straßen
Bis Sibiu kommen wir gut voran, die Autobahn dorthin gleicht dem, was wir auch aus Deutschland kennen. Langsam nehmen unterwegs die Berge zu, sie werden höher, manche sind Mitte April noch weiß gezuckert. Nahe Sibiu tauchen dann mit einem Schlag gleich mehrere richtig hohe Gipfel auf – 2000er, die wie Toblerone-Zacken aussehen und oben komplett verschneit sind. Sie begleiten uns auf dem Weg hinein ins Dracula-Reich, das wir nun durchqueren müssen und das eine fahrerische Herausforderung wird.
Unser Schnitt – bis dahin immerhin fast 100 Kilometer pro Stunde – leidet kräftig. Die Landstraße windet sich über Pässe und durch Täler, der Belag ist gut, aber die Straßenbreite samt Betonbarrieren in der Mitte scheint uns ungeübten Transporterfahrern viel zu schmal zu sein. Dennoch werden mächtige Sattelzüge von Profis am Steuer todesmutig um enge Kurven, durch Serpentinen und an Abhängen entlang gesteuert – mit Geschwindigkeiten, die jeden Polizisten hierzulande sofort zum Großeinsatz rufen lassen würden. Dass es inzwischen Nacht geworden ist, scheint den Todesmut der Lasterfahrer noch zu steigern. In der Dunkelheit brettern sie mit 90 Stundenkilometern durch die Ortschaften. Schließlich wird Alex innerorts sogar von einem Reisebus überholt. Das wird ihm wohl noch eine ganze Weile nicht aus dem Kopf gehen. „Ich bin wenigstens 70 gefahren“, gibt er später zu Protokoll.
Wir kommen auf der wilden Fahrt durch Brașov, das gerade mal eine halbe Stunde entfernt ist vom Dracula-Schloss Bran und erreichen am Ostersonntag-Nachmittag schließlich Buzău. Die Straßen werden nicht besser und wir ahnen inzwischen, dass die letzten 450 Kilometer bis zu unserem Ziel besonders herausfordernd werden. Die Straßen sind schlecht, mehr als 70 km/h sind mit dem schwer beladenen Vito nicht mehr drin, ohne Reifenschäden oder Schlimmeres zu riskieren. Es ist dunkel, als wir schließlich den Grenzübergang zu Moldawien bei Galati gefunden haben. Auf dem Weg dorthin überrascht uns kurz zuvor in der Abenddämmerung noch eine gigantische Baustelle. Nahe der Städte Braila und Galati entsteht eine riesige Hängebrücke über die Donau. Sie soll künftig die Donaufähre ersetzen. Mehr als 190 Meter hoch sind die bereits fertigen Brückenpfeiler, weit übers Land sind sie zu sehen.
Gute Begegnungen und schlechte Straßen
Wir haben geahnt, dass es noch Stunden dauern wird, unser Ziel zu erreichen. Und wir sind froh, erst einmal im Dunkel der Nacht und ohne jedes Hinweisschild den richtigen Weg gefunden zu haben. Noch mehr freuen wir uns, als unsere Papiere bei den Grenzern für Begeisterung sorgen. Allen voran die freundliche Bestätigung des Bürgermeisters von Mykolaiv zum Hilfsmittel-Bedarf in der ukrainischen Stadt und die Notwendigkeit unseres Transports. Sie knallen uns einen Stempel auf die ausgedruckte PDF-Datei und erklären, der sei wichtig und würde uns ab jetzt weiterhelfen. Dann entlassen sie uns mit freundlichen Grüßen in die moldawische Nacht.
Noch bis weit nach 0 Uhr werden wir unterwegs sein. Fast immer fahren wir in diesen Stunden dicht an der Grenze zur Ukraine entlang. Die Straßen sind übel, wir kommen schlecht voran. Während ich mich mit dem Vito durch die Nacht kämpfe, fallen meine Mitfahrer trotz des Krachens, Schüttelns und Schaukelns in tiefen Schlaf. Nach einem letzten Tankstopp – vor allem, um noch einmal Sprit zu bunkern, bevor wir den Mercedes-Diesel vom Antriebs- zum Heizmotor umfunktionieren – erreichen wir am Ostermontag um 2.30 Uhr Palanca. Das kleine Dörfchen ist dunkel um diese Zeit, hell erleuchtet ist nur das Flüchtlingslager, das der UNHCR am Ortseingang errichtet hat. Ganz in der Nähe parken wir für den Rest der Nacht und schlafen, bis die Sitzposition keine längere Nachtruhe erlaubt. Immerhin hält uns der ab und zu eingeschaltete Motor warm… Dresden/csp
Fortsetzung folgt…
Danke für den spannenden Reisebericht. Toll, was ihr macht. Viel Erfolg und kommt gesund wieder
Ute Uhlemann+Karltheodor Huttner
[…] sind Teil 1 und Teil 2 dieses Reiserückblicks zu […]