Dreieinhalb Zugstunden von Moskau entfernt liegt die Stadt Jaroslawl. Der Expresszug dorthin rattert mitunter mit nur 50 Stundenkilometern über ausgeleierte Gleise. So erreicht er zwar langsam aber dennoch auf die Sekunde genau sein Ziel in der Gebietshauptstadt, deren Zentrum zum Unesco-Welterbe gehört. Die evangelisch-lutherische Gemeinde von Jaroslawl ist Teil der Propstei Moskau und Ivan Shirokov, der vor etwa einem Monat gemeinsam mit Pröpstin Elena Bondarenko in Dresden zu Gast war, trifft uns, um uns seine Stadt und seine Kirche zu zeigen. Die Stadt selbst prägen der gewaltige Fluss und die historischen Gebäude an seinem Westufer, vor allem viele orthodoxe Kirchen. Jaroslawl war im Zweiten Weltkrieg schwer umkämpft, schließlich befand sich hier damals eine der wenigen Brücken über die Wolga. Sie wurde zu Zarenzeiten errichtet und seit ihrer ersten Fahrt vor rund 100 Jahren verläuft die Strecke der Transsibirischen Eisenbahn über diese Brücke. Das Bauwerk wurde nie zerstört und ist in besserem Zustand, als die benachbarte Autobrücke, die aus den 50er Jahren stammt, berichtete uns Ivan.
Von der Kirche kann man das nicht sagen. Die Gemeinde hat sie in den 90ern zurückbekommen und versucht nun, sie Stück für Stück in einen brauchbaren Zustand zu versetzen. Immerhin sind die Fenster mittlerweile intakt, sie wurden anlässlich von Jaroslawls 1000. Geburtstag vor drei Jahren mit Geld von der Stadt erneuert. Doch mehr war nicht drin. Innen versuchen sich der junge Vikar und der „Hausmeister“ der Kirche als Bauleute, doch sie stehen vor einer Sisyphosaufgabe. Würde die Kirche weiter in diesem Stil saniert, wäre sie gewiss auch in zehn Jahren noch nicht fertig…
Dennoch begeistert, wie selbstverständlich die kleine Gemeinde Gottesdienst feiert im staubigen Kirchenschiff. Die musikalische Begleitung kommt dabei von einer Elektroorgel, die mehr Kinderspielzeug als Musikinstrument ist, Ivan Shirokov predigt mit großer Ernsthaftigkeit und man spürt, dass ihm seine Arbeit ein wichtiges Anliegen ist. Auch wenn sein Salär im Moment zu gering ist, sein Talar zu kurz und seine Wohnung viel zu weit entfernt von der Kirche. Immerhin: Im Gegensatz zu Smolensk hat diese Gemeinde eine Kirche. Allerdings eine, deren Sanierung vielleicht eine zu große Aufgabe für die etwa zwei Dutzend wirklich aktiven Gemeindemitglieder allein sein könnte.