Manche Orte muss man sich in Russland schönsehen. Das ist mühsam. So ging es mir mit dem Motel Phönix bei Smolensk, das ich irrtümlich für die Unterkunft gehalten habe, die mir meine Bekannten aus Smolensk nahegelegt hatten. Ein Truckerhotel, nicht weit von der Fernverkehrsstraße Minsk-Moskau entfernt, mit Lkw-Stellplätzen, Truckerdusche, etwas karger Bar (mehr so eine Kantine) und durchaus ordentlichen Zimmern für 1500 Rubel pro Nacht. Nicht schlecht, dachte ich mir, nur eben etwas weit weg von der Stadt. 10 Kilometer mit dem Marschrutka sind es durchaus gewesen bis ins Zentrum von Smolensk, etwa eine halbe Stunde ÖPNV-Fahrt für 12 Rubel. Zwei nächte habe ich dort gewohnt, inzwischen bin ich im Hostel Felix untergekommen. Mitten in Smolensk, ziemlich gut, für 500 Rubel pro Nacht. Das Hotel Phönix kann ich nur eingeschränkt empfehlen. Es ist zwar ganz angenehm für eine einzige Übernachtung – aber der Drachen hinterm Kantinentresen hat sich sogar den zweiten Frühstückskaffee bezahlen lassen. Inklusive Milch für 5 Rubel hat er 25 Rubel gekostet…. Ich habe mich von dieser Russin auf Nimmerwiedersehen verabschiedet.
Smolensk also. Einer der östlichen Vorposten von Putins Riesenreich in Europa. Schwer orthodox, von hier stammt Partriarch Kyrill, der Chef der russisch-orthodoxen Kirche. Die hiesige ev.-lutherische Gemeinde ist klein und muss sich als Untermieter bei den Baptisten mit der Rolle am Katzentisch zufrieden geben, denn ihre eigentliche Kirche ist die Heimstatt eines Schachclubs. 1150 Jahre Smolensk, die im September gefeiert werden, machens aber möglich, dass dank Staatsgeld plötzlich auch Mörtel und Farbe für diese kleine Kirche im Stadtzentrum übrig sind. Selbst manche Smolensker habe ich mit dieser Nachricht überrascht. Am Wochenende sollen die Arbeiten erledigt sein. Die hiesigen Gemeindemitglieder werten diesen Einsatz als durchaus gutes Zeichen. Und sie hoffen weiter auf Rückgabe der Kirche – es seien nur einige Papiere falsch ausgefüllt worden, erklärte die Moskauer Pröpstin Elena Bondarenko den aktuellen Stand der Rückgabeverhandlungen. „Keine Verzichtserklärung“, wertete sie diese Antwort, also keine strikte Absage an die Rückgabe. Die Kirche hat – so frisch verputzt – einen besonderen Charme (ohne das Wappenzeichen des Schachclubs am Eingang) und so ließ ich mich verleiten, mich bei der handgreiflichen Probe eines nicht eben freundlichen Gedankens fotografieren zu lassen – ich hätte das Symbol leicht verschwinden lassen können (siehe Foto)…
Michail Iwanowitsch Glinka begegnet man hier im Zentrum gleich mehrfach. Der Komponist gilt als einer der größten Söhne der Stadt, ihm ist ein wichtiger Park im Zentrum gewidmet, dort steht ein Glinka-Denkmal und gleich gegenüber befindet sich die Smolensker Philharmonie, die selbstverständlich nach ihm benannt ist. Die Häuser im Zentrum rings um den Park werden derzeit mit mächtig viel gelber und weißer Farbe aufgehübscht und meine Bekannten hier wussten sofort, was ich meine als ich von potemkinschen Dörfern sprach. Genauso funktioniert nämlich die Stadterneuerung anlässlich des 1150. Geburtstags von Smolensk. Immerhin muss man dieser Art der Denkmalpflege zugute halten, dass dabei auch nasse Außenwände erneuert, Stuck aufgearbeitet und neue Dachrinnen und Simsabdeckungen – zumeist aus verzinktem Stahlblech – montiert werden. So wird die Grundsubstanz der Bauten erhalten und manche – wie die kleine evangelische Kirche – bekommen dabei sogar neue Fenster.
Zu tun ist dennoch viel – ein beredtes Beispiel dafür ist der Zustand des Straßenbahnetzes. Schiffe liegen ruhiger in schwerer See als die Smolensker Straßenbahnen auf den hiesigen Gleisen fahren, 100 Meter ohne gebrochene Schienenstöße sind rar. So krachen die Bahnen von Schienenstoß zu Schienenstoß und müssen mancherorts im Kaffebohnentempo über zerstörte Gleisverbindungen kriechen. Ein erschreckendes Erlebnis. Was geht es Dresden gut…
Zum Schluss: Ich habe das „Memorial Katyn“ besucht, jenen Ort, an dem auf Stalins Befehl hin tausende polnische Offiziere ermordet wurden und an dem ebenfalls tausende russische Stalin-Opfer ermordet worden sein sollen. Es war ein bewegender Besuch an einem Ort, dem mit dem Absturz einer polnischen Regierungsmaschine im April 2010 nahe dem Militärflughafen Nord-Smolensk ein weiteres trauriges Kapitel hinzugefügt wurde. Die Regierungsdelegation aus Polen war damals nach Smolensk geflogen, um Katyn zu besuchen.