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Das beste Pferd im Harley-Stall

Blau vor blau – Harleys edelstes Pferd im Stall lenkt die Blicke auf sich.

Mal ne Harley probefahren? So ähnlich, vielleicht ein wenig förmlicher war der Text einer Mail, die ich vor etwa zwei Monaten bekommen habe. Ich habe nicht lange überlegt und zugesagt. Das Callcenter im Irgendwo vermittelte mich nach Radebeul, dort durfte ich gestern ran. Perfektes Wetter, wenig Gewühl im Laden – also kaum jemand da, vor dem ich mich blamieren kann – viel besser konnten die Bedingungen kaum sein. Weil ich die Harley-Fachsprache immer noch nicht vollends verstanden habe, war mir nicht so ganz klar, was ich probefahren soll. Groß und dick jedenfalls, so hatte ich mir das vorgestellt. Ähnlich wie die E-Glide, mit der ich in Florida Freundschaft geschlossen hatte. Dass die Herrschaften bei „Thomas‘  Heavy Metal Bikes“ aber ihr bestes Stück vorfahren, hatte ich nicht erwartet. Ein Berg aus Eisen, Chrom, blauem Lack und schwarzem Leder, mehr als acht Zentner schwer. Das Trumm hört auf den Namen CVO Ultra Limited, wobei das Buchstabenkürzel für „Custom Vehicle Operations“ steht. Harley verkündet, die CVOs würden „fast nur von Hand in streng limitierter Stückzahl gefertigt und bieten exklusive Veredelungen sowie modernste Technik“. Deshalb hatte „meine“ Harley auch verchromte Felgen.

Nein, einen Test hatte ich nicht geplant, dazu reichte die Zeit nicht. Aber eine kleine Tour mit etwas Landstraße, ein paar Beschleunigungs- und Bremsversuchen, ein paar Kilometer Autobahn. Schon beim Start fingen die Probleme an – wo war der Schlüssel? „Keyless“, sagte mir der Kollege noch – also Knopf drücken und los. Der Typ vorne an der Bordsteinkante winkte schon ganz hektisch. Ja, die Straße ist frei, ich hatte verstanden. Aber bevor ich das Ding auch nur einen Meter bewege, muss ich erst mal ankommen. Supersitz, Rückenlehne, Riesenbildschirm, halbhohe Scheibe, perfekte Lenkerposition und zig Knöpfe. Ach, wo war doch gleich der Aus-Schalter für die Blinker? Hat sie nicht. Noch mal drücken oder Automatikabschaltung – das hatte ich nach drei Abbiegemanövern verstanden.

Der Blick der CVO – irgendwas zwischen böse und spacig.

Die Frontpartie ist gewöhnungsbedürftig – mir gefallen ja drei Rundscheinwerfer wie bei den Harley-Klassikern E-Glide und Road King besser. Aber egal – ich sitz drauf und muss die Front nicht sehen. Wie der Twin auch aus niedrigen Drehzahlen zieht ist eine Wucht. Und dazu das satte Bollern der ofenrohrdicken Essen – das fetzt. Komisch fand ich aber die Rostflecken in den Auspuffrohren. Muss wohl bissel mehr angeheizt werden, die CVO. 98 Pferdestärken hat die Fuhre, genug für ihr Gewicht, vor allem angesichts des ordentlichen Drehmoments, das dem einer R 1200 GS in nichts nachsteht. Nur muss dieser Motor eben fast das doppelte Gewicht schleppen. Das machte er bei dieser kleinen Tour in jeder Situation sehr überzeugend. Was aber, wenn die zwei riesigen Koffer und das Topcase voll sind, auf dem Gepäckträger noch eine Tasche klemmt und eine kuschelige Beifahrerin Platz genommen hat? Dann wiegt das Gesamtpaket, sicher deutlich über zehn Zentner!

Boller, boller, potatoe, potatoe – raus nach Moritzburg, von da weiter nach Berbisdorf. Ist die riesige Maschine einmal in Schwung, fährt sie sich kinderleicht. Blöd nur, dass sich meine Motorradstiefel (Größe 43) auf beiden Seiten nicht so richtig von selbst in die Schalt- und Bremsposition schmiegen wollen. Vor allem beim Schalten muss ich auf der Wippe immer wieder umsteigen. Vielleicht ist das Gewöhnungssache. Der Windschutz hinter der halbhohen Scheibe ist toll, da hört man das Radio auch, wenns grad mal nicht volle Kanne aus allen vier Boxen dröhnt.

Das Cockpit ist übersichtlich, alle Uhren und den Bildschirm oben hat man gut im Blick. Aber die Bildqualiltät des Minifernsehers, der alle Funktionen anzeigt, könnte besser sein. Das Radio hatte ich schnell gefunden, den Tempomat auch. Der Rest – Navi, irgendwelche Temperatur- und Reifendruckanzeigen und was sich da sonst noch verbirgt, blieb bei diesem Kurztrip verborgen.

 

Vier Uhren, ein mäßiger Bildschirm und viele Knöpfe – das Cockpit braucht Übersicht.

Auf der Landstraße spürt man sofort, dass die „FLHTKSE CVO Ultra Limited“ mehr will. Der linke Daumen kitzelt den Blinkschalter, nur der Respekt vor dem Trumm verbietet flotte Überholmannöver. Die darf die Harley dann auf der Autobahn zeigen. Dort läuft sie wunderbar – sie ist eben für glatte Straßen mit langen Kurven gemacht. Vierter Gang, fünfter Gang, sechster Gang – und am Hahn ist noch jede Menge Luft bei 150 Stundenkilometern. Mehr geht nicht, Geschwindigkeitsbegrenzung.

Und Zeitbegrenzung, nach einer Stunde soll ich ja zurück sein. Vorher muss ich noch tanken. Der Tank sei randvoll, hat man mir gesagt. Dafür nimmt er ordentlich Sprit, ich komme auf einen Durchschnittsverbrauch von etwa zehn Litern auf 100 Kilometern. Da fordern das Gewicht und die Ausmaße einer Schrankwand dann doch Tribut. Dem Eigner einer solchen Wuchtbrumme macht das nix aus, die Euros für den Sprit sind für ihn Peanuts. Schließlich ist das ein Bike für Menschen mit viel finanziellem Spielraum. Rund 41.000 Euro will Harley für sein Flaggschiff. Da ist dann weniger doch mehr und kommt letztlich echtem Motorradvergnügen wohl auch näher. Denn für Kurvenräuberei auf Bergstraßen, für Kehren in den Alpen oder ultraschmale Passstraßen ist dieses Riesending nicht gemacht.

Ein toller Motorradspaß wars aber dennoch! Danke, Harley. Dresden/cs

  • Hier geht’s im Internet zur hiesigen Harley-Vertretung in Radebeul.
98 PS und das Drehmoment einer R1200 GS holt Harley aus den gigantischen 1,8 Litern Hubraum.

3 Kommentare

  1. Thomas Thomas

    Irgendwie stehe ich doch immer noch auf leicht und kurvenräubernd – und ich dachte schon 220 kg bei 102 PS sind relativ schwer.

  2. Wiedermal ein sehr schön zu lesender und interessanter Bericht. Vielen Dank!

    • Christoph Springer Christoph Springer

      Vielen Dank für die Blumen!

Kommentare sind geschlossen.