1.800 Kilometer lang war die Fahrt und sie war kein Vergnügen. Schon deshalb nicht, weil das Motorrad in der Garage blieb. Danach werden die Schwierigkeiten nicht weniger.
Alles musste schnell gehen am vergangenen Mittwoch. Schnell die Arbeit beenden, die nötigen Dinge packen, Öl und Kühlwasser kontrollieren, das Wischwasser nachfüllen und los. Um 14.30 Uhr waren wir auf der Autobahn mit dem knapp 230.000 Kilometer alten „Zafira“. Das Ziel: Die polnisch-ukrainische Grenze. Immer auf der A4 entlang, nach vielen Stunden Autofahrt und zwei Mautstellen erreichten wir die Grenze beim polnischen Örtchen Medyka. Wir, meine liebe Frau und ich, waren dort, um eine ukrainische Freundin und deren Schwägerin samt zwei Jungs dort abzuholen.
Nur, wo? Die Zufahrt zur Grenze auf der A4 hatte die polnische Polizei abgesperrt, auch auf den Straßen neben der Autobahn kam man nicht näher ran, ebenfalls Polizeisperren. Ein Beamter erklärte uns in englischer Sprache, wohnin wir fahren müssten, wo die Kriegsflüchtlinge dort ankommen. Sie wurden mit Shuttlebussen zur Hala Kiejowska, der Kiewer Halle, an der „94“ gefahren. Das war mal ein Lager der polnischen Supermarkt-Kette Biedronka. Jetzt ist es ein Aufnahmelager, vor dem Busse im Minutentakt Flüchtlinge hinschaufeln. Rund um die Uhr, auch in dieser Nacht bei null Grad und Schneeregen.
Sechs Stunden lang haben wir dort im Auto auf „unsere“ Flüchtlinge gewartet. Bei Gratis-Tee und -Kaffee von den polnischen Helfern, die sich alle Mühe geben, ob der schieren Masse aber überfordert scheinen. Vor der Halle: Hunderte Flüchtlinge, übermüdet, durchfroren, mit Kindern an den Händen und auf den Armen. Manche Kinder schlafen, andere laufen auch weit nach Mitternacht wie aufgezogen über den Platz, wieder andere weinen. Kalt ist allen, die Decken, die sie sich umgehängt haben, wärmen längst nicht mehr nach den Stunden an der Grenze.
Dort haben auch die zwei Frauen und ihre Söhne gestanden, auf die wir so lange warten mussten. Sechs Stunden auf der ukrainischen Seite, sechs weitere auf der polnischen. Die ganze Nacht lang. Wir fanden schon die Nacht im halbwarmen Auto anstrengend… 7 Uhr hatten wir sie schließlich eingeladen und zu sechst mit ihrem Gepäck wurde es im „Zafira“ – sagen wir – kuschelig. Fast zu eng und erst recht, bedenkt man die bevorstehenden knapp 800 Kilometer Rückfahrt. Schon nach fünf Minuten waren alle unsere Mitfahrer eingeschlafen… Am Donnerstagabend waren wir zurück in Dresden. Nun leben sechs Menschen in unserer Dreizimmerwohnung. Es ist eng, alles irgendwie provisorisch, ein Bad für sechs Personen eine Herausforderung. Und nun?
Toll, wie sich hierzulande Menschen um Spenden kümmern. Wir haben unsere Gäste am Freitag anmelden können als Flüchtlinge, einer der Orte dafür ist die Erstaufnahmestelle Stauffenbergallee 2b in Dresden. Wir haben im „Zentralwerk“ ein paar Sachen für sie bekommen, etwas für die Jungs, Kissen, Decken, Hygieneartikel. Aber wie nun weiter?
Eine Herausforderung ist es einerseits, für Beschäftigung zu sorgen. Das WohnungsWLAN hilft, ständig dudeln jetzt Handyvideos, klingeln Whatsapp- oder Viber-Anfrufer, werden Gespräche mit den Lieben in der Heimat geführt und die neuesten Informationen ausgetauscht. Zumeist keine guten und die Gespräche der Frauen danach enden nicht selten mit Tränen. Die vorerst letzte Hiobsbotschaft bekamen wir am Sonntag und sie kam nicht aus der Ukraine. Einer der Jungs ist Corona-positiv.
Nun ist es noch enger in der Wohnung. Er ist in einem der drei Zimmer in Quarantäne, Kontakt lässt sich dennoch nicht ganz vermeiden, das PCR-Ergebnis erwarten wir am morgigen Montag. Alle anderen sind (noch) negativ, haben Schnelltests ergeben. Was der eine Positivtest wirklich bedeutet, weiß ich nicht genau. Nicht mehr rausgehen, schon gar nicht unter Leute sicherlich. Was aber passiert, wird noch jemand positiv, trifft es gar mich selbst und schränkt dann auch meine Hilfsmöglichkeiten ein? Nicht auszudenken!!! Ich bin froh, dass ich drei Mal geimpft bin und setze darauf, dass etwas Optimismus ebenfalls gesund hält.
Doch wie weiter? Am Dienstag dürfen unsere Gäste umziehen, in eine Wohnung nur für sie allein, die ein guter Freund über seinen Arbeitgeber organisiert hat. Die Miete ist geklärt, wer aber zahlt die Nebenkosten? Wer zahlt für Lebensmittel, für alles das, was man so im Alltag in einer Wohnung verbraucht? Eigenes Geld haben sie nicht, Geldkarten schon. Doch vermutlich würden allein die Abhebegebühren hierzulande das wenige Ersparte drastisch dezimieren. Dazu kommt: Sie sprechen nicht Deutsch und auch nicht Englisch. Einkäufe werden so eine große Herausforderungen, abgesehen davon, dass Preisvergleiche kaum möglich und Vorstellungen von der Höhe der hiesigen Allgemeinkosten (Wasser, Energie, Heizung…) nur sehr langsam vermittelbar sind.
Es ist wunderbar, wie eifrig geholfen wird, wie Menschen anpacken, Flüchtlinge transportieren, unterbringen, versorgen. Doch wo bleiben die staatlichen und städtischen Stellen? Wer wird unseren neuen Gästen wann und wie finanziell den Weg in ihre ungewisse Zukunft ebnen (ein Konto hier haben sie nicht und bekommen sie so leicht auch nicht)? Wann und wo können sie wenigstens etwas Deutsch lernen? Welche Arbeit könnten sie so schnell wie möglich machen (eine Arbeitserlaubnis ist mit der Anerkennung als Kriegsflüchtlinge immerhin schon mal verbunden), welcher Arzt würde sie notfalls behandeln ohne Krankenversicherung? Und wer sorgt dafür, dass die zwei Jungs so schnell wie möglich in ein eingermaßen geregeltes (Schul)Leben zurückkehren können?
Jeden Tag versuche ich nun, solche Fragen zu beantworten und die eine oder andere Antwort ergibt sich schließlich auch. Doch trotzt aller Recherchefähigkeiten, die ich berufsbedingt habe und ständig erweitere, ist es mir bisher nicht gelungen, den einen Ansprechpartner zu finden, bei dem ich, bestenfalls sogar unsere Gäste in ihrer Muttersprache Fragen stellen und Antworten bekommen können. Dresden/csp