Dresden / Weltanschauliches

Drei Probleme und nur eine Lösung

Sechs Personen, fünf Nächte, drei Zimmer und ein positiver Corona-Test – klingt nach einer überschaubaren Rechnung. Doch es ist eine Gleichung mit vielen Unbekannten.

Im schmucklosen Flur des Sozialamts – eine Stunde dauerte es dort, „unsere“ Gäste anzumelden. Das war aber nur dem Andrang geschuldet, nicht den Mitarbeitern.

Andrjuscha hat ein Problem. Mindestens eines. Und Jurek auch. Der Neunjährige hat gemalt – auf unserem Balkon und nachdem er die Acrylfarben meiner Liebsten gefunden hatte. Ein „Z“. Die meisten Menschen wissen inzwischen – mit diesem Buchstaben sind viele der russischen Armeefahrzeuge in der Ukraine markiert. Manche sagen, das „Z“ stehe für Zapad, das russische Wort für Westen. Es solle die Richtung vorgeben, in die Putins Streitkräfte wollen. Ob das stimmt, ist unbekannt. Sicher ist aber laut Militärexperten, dass es sich um eine Markierung handelt, die den Angreifern helfen soll, ihre Fahrzeuge von den ähnlich aussehenden der ukrainischen Armee zu unterscheiden. Schließlich handelt es sich zumeist um die gleichen Auto- und Panzertypen. Ob Andrjuscha das weiß? Vermutlich nicht. Aber es hat sich ihm eingeprägt. Er stand nachts am Fenster in Nikolaev und hat gehört und gesehen, wie Geschosse eingeschlagen sind, sagt seine Mutter. Seitdem spreche er im Schlaf.

Jurek schläft nicht mehr, wenn das Fenster offen ist. Er hat Angst vor Flugzeugen. Vor Hubschraubern zum Glück wohl nicht, denn ihr neues Quartier – eine Zweizimmerwohnung in der Dresdner Friedrichstadt – liegt in Sichtweite des Hubschrauberlandeplatzes vom Krankenhaus Friedrichstadt.

Zwei neue Probleme, das Jugendamt der Stadt weiß, dass sie Hilfe brauchen. Doch noch gibt es die nicht, schon gar nicht mit Übersetzer. Auch Schulbesuch und Sprachunterricht sind noch nicht geregelt. Immerhin – „unsere“ Gäste haben eine Wohnung. Sie haben Geld bekommen, im Dresdner Sozialamt und bar auf die Hand, denn ein Konto haben sie hier ja nicht. Der nächste Auszahlungstermin steht und kaufen sie gut ein, dürfte das Bargeld auch ausreichend sein.

Kurz – Ludmilla, Marina und ihre zwei Jungs sind versorgt. Vorerst. Sicherlich geht es ihnen damit im Augenblick besser als vielen Ukraine-Flüchtlingen, die jetzt ankommen, niemanden kennen und erst einmal in Turnhallen schlafen müssen. Freunden sind wir dankbar für viel Unterstützung, vor allem bei der Wohnungssuche, dem Dresdner Unternehmen, das die Wohnung zur Verfügung gestellt hat und zwei Mitarbeiterinnen dieses Unternehmens, die sie liebevoll vorbereitet haben. So ist es gelungen, wieder Ruhe in unserer Wohnung zu haben. Sechs Personen in drei Zimmern, eine kleine Küche und ein Bad – das ist auf Dauer eine schwer zu lösende Gleichung.

Fazit: Die lange Fahrt an die ukrainisch-polnische Grenze und zurück war noch das Einfachste. Viel mehr Mühe kostet es, Flüchtlinge aus dem Kriegsland hier zu begleiten, ihnen ein einigermaßen erträgliches Leben in der Fremde zu ermöglichen. Und mit anzusehen, wie Putins Armee weiter bombt, Städte und Straßen zerstört, die ich einst mit dem Motorrad bereist habe, meinen Schwager am Telefon zu hören, während im Hintergrund Geschosse einschlagen und dabei zu wissen, dass man für die Menschen vor Ort leider nichts unmittelbar tun kann.

Neben Alltagshilfe und Wegen für „unsere“ Flüchtlinge sind jetzt Geldspenden unser Thema. Das ist immerhin die Lösung eines Problems. Denn mein Schwager Vitalii kann nicht mehr arbeiten, seit Kriegsbeginn hat seine Firma die Arbeit eingestellt. Er verdient also kein Geld mehr und gehört zu den Männern, für die die Generalmobilmachung gilt. Und unsere Trauzeugin, die wie mein Schwager nicht aus der Stadt weg kann (und will), muss unter anderem ihre kranke Mutter pflegen. Also überweisen wir… Wie das weitergehen soll? Keine Ahnung.

So heftig wie in der vergangenen Nacht wurde Nikolaev bisher noch nie angegriffen, berichtet Vitalii. Krankenhäuser wurden beschädigt, die Zentrale der schnellen medizinischen Hilfe beschossen, das Klärwerk, ein Heizkraftwerk und Wohnhäuser. Heute schwächelt erstmals das Internet, die wichtigste Kontaktmöglichkeit ist damit infrage gestellt. Aber: Man kann immerhin noch Lebensmittel einkaufen, zwei oder drei Stunden pro Tag und was eben so da ist.

Wir geben die Hoffnung nicht auf… Dresden/csp