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4.100 Kilometer und neue Erfahrungen (Teil 3)

Reichlich zwei Tage liegt die Rückkehr von der Hilfsfahrt in die Ukraine zurück. Inzwischen rücken neue Fragen in den Mittelpunkt.

Betrieb im Empfangszelt für die Flüchtlinge. Hier Kaffee und Tee zu bekommen, war auch für uns eine Wohltat. Foto: A. Schneider

Knapp 4.100 Kilometer zeigt der Tageskilometerzähler des Vito an. Es ist Dienstagabend in Dresden, etwa 23.30 Uhr. Nach der Drei-Tage-Tour, bei der wir laut Autoanzeige im Schnitt 7,6 Liter Diesel auf jeweils 100 Kilometern verfeuert haben, kommen wir zu Hause an – sehr müde und sehr zufrieden. Fast auf die Minute genau 77 Stunden lang waren wir unterwegs, davon eine in der Ukraine. Im Kriegsland, der Heimat meiner Frau, in dem Land, das ich vor einigen Jahren bei einer meiner beeindruckendsten Motorradreisen kennengelernt habe. Auch auf die Krim durfte ich damals.

Eine Erfolgsmeldung

Alles hat wie geplant funktioniert. Das betrifft vor allem die Grenzübergänge von Rumänien nach Moldawien und von Moldawien in die Ukraine. Das betrifft ebenso das Treffen mit „unserem“ Bus in der Ukraine, die erfolgreiche Suche nach Mitfahrern heimwärts und die Hilfe für unsere 22-jährige Ukrainerin aus Pirna, die gut am Fluchtort ihrer Mutter angekommen ist.

„Unsere“ Hilfsgüter sind in einem Lager der Stadt Mykolaiv angekommen. Wer genau hinschaut, erkennt seine Spenden. Rechts oben die Bananenkiste mit Verbandszeug und Pflaster, davor unten eine Medikamentenkiste aus Chemnitz, vorn unten eine Kiste mit Dosensuppen und Fischkonserven, links daneben noch eine Kiste mit Dosensuppen, links oben weitere Medikamente und daneben ein Karton mit Babywindeln. Foto: Stadtverwaltung Mykolaiv/Sergij Kolesnik

Wir haben keine Zweifel daran, dass die Spenden in Mykolaiv zweckgerecht verteilt werden. Die Aufsicht darüber hat die Stadtverwaltung, mit der wir zuvor häufig via Internet in Kontakt waren. Der Grund: Die Niko.Volunteers, für die unsere Spenden zunächst gedacht waren, wollten einen Lkw schicken. Vorausgesetzt, unser Spendengut wiegt wenigstens drei Tonnen. Damit konnten wir nicht dienen, womöglich wäre der Wert der Spenden der bessere Indikator für Sinn oder Unsinn der Lkw-Fahrt an die Grenze gewesen. Deshalb haben wir am 6. April Kontakt zu Sergij Kolesnik aufgenommen. Er ist laut Bürgermeister Oleksandr Senkevych einer derjenigen, die Hilfe für Mykolaiv koordinieren.

Sergij hat uns von den regelmäßigen Busfahrten für Flüchtlinge aus der Stadt nach Palanca berichtet. Von ihm kam der Vorschlag, unsere Hilfsgüter in einen dieser Busse umzuladen. Er hat in einem Viber-Kanal von unserer Fahrt und der kostenlosen Mitfahrgelegenheit zurück berichtet und er war es auch, der dafür gesorgt hat, dass wir mit Hilfe von Businsassen in Palanca eine Katze übernehmen konnten – es ist die ukrainische Katze meiner lieben Frau. Sergij hat immer schnell geantwortet und uns mit seinen Vorschlägen und Aktivitäten sehr geholfen. Dafür sind wir ihm dankbar. Auch das offizielle Dokument mit dem Stempel und der Unterschrift von Bürgermeister Syenkevch, das unsere Absicht und den Adressaten der Hilfsgüter erklärt, hat er beschafft.

Hier ein Ausschnitt des Schreibens aus Mykolaiv – es war sehr nützlich.

Hilfe bekamen wir auch vom sächsischen Verein EuroMaidan und der ukrainischen Organisation „Mobiles Spital Mykola Pirogov“ mit einem Schreiben, das unsere Aktion unterstützt. Dabei ging es vor allem um die Medikamente, die wir sonst nicht hätten ausführen dürfen. EuroMaidan-Vorstand Frank Tiesler hat unter anderem den Kontakt zur Landesdirektion Sachsen hergestellt, die uns entsprechend dem Arzneimittelgesetz ein Schreiben erstellt hat, mit dem die rechtmäßige Sammlung und Ausfuhr der Medikamente bestätigt wird. Dafür hat dort eine Mitarbeitern am Donnerstag vor Ostern sogar eine Extraschicht eingelegt. Vielen, vielen Dank!

Danken möchten wir auch den vielen, für uns namenlosen Grenzern und Zollbeamten, die uns unterwegs stets freundlich, mitunter wohl besonders zuvorkommend behandelt und die Schlagbäume geöffnet haben.

Dank an Spender und Helfer

Der größte Dank geht an die vielen Spender, von denen ich hier einige ganz bewusst namentlich nenne: Zum Beispiel Peter Simmel (Simmel-Märkte Dresden), der uns nur Stunden nach der Anfrage Spenden im Wert von 500 Euro zugesagt hat. Schon einen Tag später konnten wir sie abholen. Dazu gehören zahlreiche Motorradfahrer wie Roland Werner, ehemals Staatssekretär in Sachsen, und Ivo Seidel, Teamchef bei Motomonster, die ich von Touren und/oder Treffen kenne und die keine Sekunde gezögert haben, Geld zu spenden. Dazu gehören Freunde und Bekannte, die Hilfsgüter einkauft oder beim Bezahlen ihre Geldkarte ans Terminal gehalten haben, wie zum Beispiel Neustadt-Flüsterer Anton Launer und der Marketingchef von Oppacher Norbert Rogge. Dazu gehören aber auch Menschen, die wir noch nie getroffen haben und die zum Beispiel Schlafsäcke, Isomatten, Stirnlampen, Lebensmittel, Hygieneartikel und Babywindeln gespendet haben. Erwähnen möchte ich noch die Adelsberger-Apotheke aus Chemnitz. Sie hat für uns Medikamente bestellt, die von der Christuskirchgemeinde Chemnitz bezahlt wurden. Dort wurden mehr als 700 Euro und Sachspenden für unsere Hilfsaktion gesammelt (ergänzt am 25. April nach genauerer Beschreibung des Ablaufs durch die Chemnitzer Kita-Leiterin Yvonne Hausding, die das Ganze für uns in die Wege geleitet und koordiniert hat). Aus Chemnitz haben wir unter anderem Medikamente, Antiseptikum, Verbandsmaterial und Desinfektionsmittel bekommen.

Bei Transporten in/nach Dresden wurde uns geholfen, beim Packen, bei der Fahrersuche. Ganz besonders geholfen haben SZ-Kollege Alexander Schneider, der die anstrengende Tour als Fahrer mitgemacht hat und mein Bruder Götz Springer, mit dessen Auto wir unterwegs waren. Herzlichen Dank auch meiner lieben Frau Tatiana Skopintseva. Ich konnte ihr mit dieser Reise einen Herzenswunsch erfüllen. Sie war unterwegs vor allem aber unverzichtbar als Übersetzerin und Vermittlerin an den Grenzen zu Moldawien und zur Ukraine.

Abschied vom Bus mit den Hilfsgütern – er fährt zurück über Odessa nach Mykolaiv. Foto: A. Schneider

Ist nach der Hilfsfahrt vor der Hilfsfahrt?

Schon vor der Fahrt, unterwegs und auch jetzt stellen sich Fragen. Zum Beispiel, ob diese Reise sinnvoll war. Vor allem, wenn man den Zeitaufwand oder den Dieselverbrauch ins Verhältnis setzt zum Wert der Spenden. Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz und Mission Lifeline raten von solchen Eigeninitiativen mehr oder weniger deutlich ab und verweisen auf ihre professionellen Netzwerke. Sie haben damit sicher recht, wenn es um die Menge der Spenden geht. Sie haben damit womöglich auch recht, wenn es um selbst vorbereitete Hilfsfahrten geht. Die Organisation zuvor ist extrem aufwendig und wir müssen feststellen, dass wir ohne die Hilfe von EuroMaidan eventuell Probleme bekommen hätten. Auch der Rückweg – ob nun mit oder ohne Flüchtlingen – muss bedacht werden.

Für solche Eigeninitiativen spricht aber, dass die Menschen, die man unterwegs trifft und die mittelbar oder unmittelbar mit Ukraine-Hilfe zu tun haben, dankbar sind für jeden persönlichen Kontakt. Das betrifft Polizisten und andere Beamte, das betrifft vor allem aber offizielle Personen und die Helfer an den Grenzen wie in unserem Fall die moldawische Polizei, die moldawischen Volunteers, die ukrainischen Grenzer und die Busfahrer, die „unsere“ Spenden nach Mykolaiv mitgenommen haben. Es betrifft vor allem aber die Geflüchteten, die man unterwegs trifft, denen mitunter schon ein freundliches Wort hilft, die man aber eben vor allem mit seinem persönlichen Engagement unterstützt. Dazu gehört in ihrem Fall stets auch der Gedanke, dass es mit dem Einladen und der Fahrt an einen sicheren Ort allein nicht getan ist!

Uns bewegt auch die Frage, wie es weitergehen kann. 400 von den gespendeten 1.230 Euro haben wir noch. Den größten Teil der Ausgaben machten die Tankstopps aus. Es waren rund 600 Euro. Einen Verbandszeug-Einkauf haben wir davon in Dresden bezahlt – 105 Euro. Lebensmittel für die Fahrt (35 Euro), ein kleines Frühstück auf der Rückreise für uns und die zwei Flüchtlingsfrauen, die wir mitgebracht haben (25 Euro), finanzielle Unterstützung für die Besatzung des ukrainischen Busses (40 Euro) und Maut in der Slowakei und Rumänien (13 Euro) waren eher kleine Ausgaben.

Tour-Romantik gab es auch – hier bei der Hinfahrt am Ostersonntag-Morgen kurz nach der Grenze Ungarn-Rumänien. Foto: A. Schneider

Wir haben noch nicht entschieden, was wir mit dem nicht eben kleinen Rest machen. Wir könnten das Geld nach Mykolaiv spenden. Wir könnten es als Grundstock für eine weitere Tour nehmen, Spenden-Ankündigungen gibt es bereits dafür, zum Beispiel aus Chemnitz. Doch sollten wir unser Tun professionalisieren, bei einer Hilfsorganisation mitmachen? Sollte ich vielleicht einen Lkw-, Bus- oder Staplerschein für solche Unternehmungen machen (wo?)? Immerhin – mit der DDR-Fahrerlaubnis dürfte ich auch mit einem 7,5-Tonner unterwegs sein. Sollte ich ein eigenes Auto für solche Transporte anschaffen oder gibt es anderswo Fahrzeug-Unterstützung für eine nächste Tour? Oder sollten wir vielleicht warten und (Rest)Geld und Kraft einsetzen, wenn die Zeit fürs Aufräumen in der Ukraine gekommen ist? Wer die Antworten auf eine oder mehrere dieser Fragen hat, sollte sich bitte melden.

Unsere Erfahrung ist jedenfalls: Unser Projekt ist gelungen, sowohl die Fahrt in die Ukraine mit „unseren“ Spenden, deren Übergabe und die Fahrt zurück mit geflüchteten Frauen aus Mykolaiv. Wir hatten zu keiner Zeit ernstzunehmende Schwierigkeiten. Wir sind glücklich, für dieses Projekt so viele Unterstützer gefunden zu haben und wir werden diese Fahrt nie vergessen. Und zum Schluss – wir sind durch einige Regionen gekommen, die es sich sicher als Urlauber zu erkunden lohnt. Dresden/csp

Eine bleibende Erinnerung im Reisepass: Ein- und Ausreisestempel vom gleichen Tag an der ukrainischen Grenze beim Örtchen Majaky.

 

  • Hier sind Teil 1 und Teil 2 dieses Reiserückblicks zu finden.
  • Nachtrag (19. Mai 2022) – die Fakten: knapp 3.900 Euro Spenden + Spendengeld; knapp 4.100 km Fahrstrecke; rund 78 Stunden Reisezeit inklusive etwa 12 Stunden in Palanca.