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Zu Gast in Odessa

Vier Tage Urlaub in Odessa, der viertgrößten Stadt der Ukraine mit dem größten Hafen des Landes haben den Sommer beendet. Ein Erlebnis zwischen Europa und Asien, Moderne und Geschichte.

Das prächtige Opernhaus von Odessa hatte leider Ferien.

Ich habe es verpasst. Ich habe es nicht einmal gehört, als am 2. September zum Tag der Stadt für die zigtausend Besucher auf den Straßen ein Höhenfeuerwerk über dem Schwarzen Meer gezündet wurde. Da habe ich längst geschlafen in meinem Hotelzimmer an der Deribasovskaja-Straße, Mitten im Zentrum von Odessa. Immerhin: Die Bühne, auf der am Abend das Gratiskonzert zum Feiertag stattfinden sollte, habe ich aus der Ferne gesehen. Sie stand am Fuß der Potemkinschen Treppe. So wurde die Treppe zur Zuschauertribüne. Außerdem wurde das Livekonzert auf viele Plätze im Stadtzentrum übertragen. 120.000 Menschen haben es so erlebt, berichtete am nächsten Tag das lokale Fernsehen.

Hier sammeln sich die Gäste des Gratiskonzerts zum „Tag der Stadt“ an der Potemkinschen Treppe.

Odessa? Warum Odessa? 2009 bin ich schon mal dort gewesen. Odessa war damals Station auf einer Motorradreise durch die Ukraine. Dieses Mal war ich vier Tage lang dort und habe dafür die deutlich kürzere Reisezeit mit dem Flugzeug genossen, Berlin-Wien-Odessa mit Austrian. Das entspannte Leben genießen wollte ich, das besondere Flair dieser Stadt zwischen Europa und Asien, Farben, Menschen, Wasser und Märkte sehen. Die Zeit dafür war kurz, aber mein Wunsch ging in Erfüllung.

Wilde Verkabelungen, Klimageräte und immer wieder auch liebevoll gepflegte, gefährlich wacklige Balkons prägen die Häuser.

Es lohnt sich, Odessa zu Fuß zu erkunden. Das unmittelbare Stadtzentrum mit seinen von großen Bäumen gesäumten Straßen hat morbiden Charme. Breite Fußwege, tolle alte Häuser, teure Geschäfte und jede Menge Cafes und Restaurants laden zum Bummeln und Probieren ein. Das Zentrum ist dabei die Deribasovskaja, benannt nach dem spanischen Offizier José de Ribas, der im 18. Jahrhundert zu den Gründervätern der Stadt zählte. Nur wenige Schritte entfernt steht ein Denkmal von Zarin Katharina II., die 1794 die Gründung der Stadt in Auftrag gab. Von dort sind es nur noch ein paar Schritte bis zur Potemkinschen Treppe.

Sieht aus, wie am Mittelmeer: Baden und die Seele baumeln lassen am Schwarzen Meer.

Ist man dort angekommen, kann man vortrefflich am Meer entlang spazieren. Richtung Stadion durch einen Park weiter bis zum Strand, der hier eine Betonkante am Meer ist. Dort befindet sich auch das Delfinarium von Odessa. Schicke Restaurants laden zum Entspannen ein – natürlich mit Blick aufs blaue Schwarze Meer. Baden gehen geht auch – ich hatte nur keine Zeit dazu.

In riesigen Fässern lagert hier das Destillat für Schustov-Cognac.

Ein toller Ausflug ist ein Besuch im Museum der Cognacfabrik Schustov. Eines der Werke befindet sich fast inmitten der Stadt. Fässer mit neuem, älterem und altem Destillat lagern in drei riesigen Räumen, im letzten davon macht der allein der honigsüße Duft ein wenig betrunken. Später führt ein Fachmann durchs Museum im Keller der ehemaligen Destillerie und erklärt die Entstehung des Cognacs. Es gibt Proben zu trinken, wohl dem, der vorher ein wenig gegessen hat. „Radio Eriwan fragt: Was gefällt ihnen besser – eine Frau oder Cognac? Der Befragte antwortet: Kommt auf das Alter an“, kalauert der Führer und zeigt allerlei Flaschen, alte und neue, preiswerte und teure. Zum Schluss kaufen fast alle im kleinen Laden am Ausgang des Museums. Die Marketingstrategie hat mal wieder bestens gewirkt.

Frisch destilliert, 3 bis 5 Jahre im Fass, 6 bis 8 Jahre, 10 bis 12 Jahre und mehr als 15 Jahre – so altert der edle Schustov-Tropfen.

Mindestens so sehenswert ist der große Markt von Odessa: Ein unübersichtliches Gelände mit einem Bogen am Haupteingang, über dem in goldenen Lettern „Privos“ zu lesen ist. Riesige Hallen mit Fleisch, Fisch und Backwaren, Gemüsestände, Räucherfisch, allerlei Haushaltswaren, Werkzeug, Spielzeug. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Es riecht nach frischen Kräutern. Gleich neben dem duftenden Blumenmarkt faulen aber Lebensmittelreste in großen, offenen Abfallcontainern. Es stinkt. Auch das ist Großmarkt in Odessa. Niemand macht auch nur Anstalten, die Deckel zu schließen, um den Mief in Schach zu halten. Kleine gelbe Busse quälen sich gleich daneben hupend durchs Gewühl am Rand des Marktes. Es sind Marschroutkas, billige, langsame und beim Bremsen stets quietschende Alltagsfahrzeuge für die meisten Odessiten.

Abends, wenn die Sonne irgendwo hinter dem Schwarzen Meer untergeht, lebt die Stadt auf. An Werktagen genau so, wie am Wochenende. Man flaniert auf der Deribasovskaja. Die Freisitze der Lokale sind bis auf den letzten Platz besetzt, Männer tragen Wasserpfeifen zu den Gästen, hinreißende Frauen fotografieren sich gegenseitig vor riesigen beleuchteten Drahtgeflechten, die Südfrüchte darstellen sollen, Biker posen vor einem Kaffeestand. Dieses Leben kann man stundenlang bewundern und dabei ein kühles Hoegaarden trinken. Das belgische Weißbier ist überall zu haben, es schmeckt frisch, zitronig, trinkbar. Dennoch: Ein richtiges Pils ist leider schwer zu finden.

Solche Drahtbommeln sind derzeit das beliebteste Fotomotiv auf der Deribasovskaja.

Und die Biker? Zwischen ihren Maschinen muss ich mein Motorrad auch irgendwann mal platzieren. Sie parken ihre Zweiräder mitten in der Fußgängerzone und beobachten dann gleich daneben am Kaffeestand, wie sie dort zum beliebten Fotomotiv werden. Vor acht Jahren habe ich diesen Platz nicht gefunden. Ein Grund mehr, unbedingt wieder nach Odessa zu reisen.

Die Bummelmeile dient auch als Motorradparkplatz. Gefahren wird übrigens gern auch ohne Helm.