Sebastian war mir nicht wohlgesonnen. Das erste Sturmtief im Herbst 2017 hat das Motorradfahren zur Herausforderung gemacht. Das lag nicht nur am Regen.
„Das ist aber nicht das passende Wetter“, stellte der Fährmann an der Elbfähre Rogätz fest. Dunkle Wolken jagten von Westen kommend über die Elbe, schon auf den etwa 20 Kilometern dorthin blieb es nicht trocken. In Wolmirstedt bin ich zum ersten Mal überhaupt in meiner Motorradfahrerkarriere gleich am Morgen in kompletter Regenmontur gestartet. Schon beim Anbremsen vor dem ersten Kreisverkehr forderte das Motorrad Respekt. Der Hinterreifen rutschte weg auf der nassen Straße – nicht das letzte Erlebnis, das für Adrenalin in den Adern sogte. In der erstbesten Drogerie habe ich ein paar große Gummihandschuhe gekauft. Regenschutz, der noch beweisen sollte, wie praktisch er ist. Ich habe die gelben Teile über die Lederhandschuhe gezogen – klappt, wenn man die größte Größe nimmt (Praxistipp – preiswert und fast überall zu haben).
Das erste Ziel war das Wasserstraßenkreuz Magdeburg, wo der Mittellandkanal auf einer mächtigen Brücke über die Elbe führt. Nach 31 Kilometern auf einsamen Straßen war das Ziel erreicht. Frech, aber schön: Bei strahlendem Sonnenschein erreichte ich dieses technische Wunderwerk – der Sturm war aber so mächtig, dass ich keinem Radfahrer wünschte, den Veloweg über die gigantische Brücke fahren zu müssen. Mehrere große Schleusen im Umland verbinden Elbe und Havel sowie Mittellandkanal und Elbe. Alles Sehenswürdigkeiten, die ich nur im Vorbeifahren erlebt habe. Das Wetter trieb mich weiter.
Die Strecke führte auf der B1 bis Genthin und weiter auf der 107 nach Jerichow, das der Gegend seinen Namen gegeben hat: Jerichower Land. Nördlich von Tangermünde ging es auf der B188 auf einer mächtigen Brücke über die Elbe. Tangermünde und Stendal habe ich links liegen lassen, Osterburg an der B189 war das nächste Ziel. Reichlich 100 Kilometer ohne Regen! Dann wollte ich eigentlich nach Wittenberge und dort wieder über die Elbe, denn das Ziel lag auf der Ostseite der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Doch Wittenberge habe ich verpasst. Eine gigantische Umleitung führte weit in den Norden, durch unendliche Wälder, in denen Kreisstraßen schon mal mehr als fünf Kilometer lange Schneisen mitten durch den Forst waren. Und es regnete wieder. Über ein paar Umwege gings durchs Wendland, Gorleben mit seinem schlagzeilenträchtigen Atommülllager war nicht weit. Doch ich wollte auf die andere Elbseite und kam an einer Fähre an, die nach der Wende wiedereröffnet worden ist. Sie führt nahe dem niedersächsischen Gartow ins Brandenburgische bei Lenzen. Dort war früher der Fluss die deutsch-deutsche Grenze. Ein alter Wachturm am Deich, der heute Aussichtsturm ist, erinnert an diese Zeit.
Auf der anderen Elbseite musste es dann schnell gehen, der Regen hatte mich wieder. Jede Menge Blätter und Nadeln lagen auf den nassen Straßen, ganzen Ästen musste ich ausweichen. Dazu versetzte der Sturm das Motorrad immer mal wieder einen gefühlten halben Meter nach links oder rechts. Kein Fahrspaß, jedenfalls nicht der, den ich mir gewünscht hatte.
Ich wollte nach Warin, etwa 30 Kilometer nordöstlich von Schwerin. Durch Grabow bin ich dabei gekommen, bekannt durch die Negerküsse, die dort hergestellt werden und heute Schokoküsse heißen müssen. Mein Ziel war Klein Labenz, ein Dörfchen östlich vom Warin an einem gleichnamigen See. Dort habe ich mal einen Urlaub verbracht. In den 70ern muss das gewesen sein. In Erinnerung blieb mir dieser Sommer vor allem deshalb, weil es ein kleine Seefahrermalheur gab. Mit einem meiner Brüder (oder mit beiden?) saß ich mitten auf dem See in einem Plasteruderboot, als einer von uns plötzlich hektisch an einem der zwei Ruder werkelte. Dabei rutschte die Dolle aus ihrer Halterung, die das Ruder führt. Mit leisem „Plopp“ verschwand sie im tiefen Wasser. Manövrierunfähig trieben wir auf dem See und – der Jugend seis geschuldet – brachen in Tränen aus. Irgendwann retteten uns die Großen – angeführt von meinem Vater.
Klein Labenz habe ich gefunden, den See auch. Nur die Erinnerung an die Bungalowsiedlung, in der wir den Urlaub verbracht haben, war so schwach, dass ich die Häuschen nicht wirklich wiedererkannt habe. Warin/csp
- Die Tour war trotz des Regens reichlich 330 Kilometer lang.
- Erinnerung an mich: beim nächsten Baumarktbesuch testen, welche Gummigrifflinge über die dicken Motorradhandschuhe für die kalte Jahreszeit passen.