Ist das nun ein unrühmliches Ende, ein neuer Anfang, ein Hilferuf? Die Antwort weiß ich nicht. Aber ich komme nicht herum um dieses Thema.
Es war 2009. Mit dem Motorrad bin ich solo in die Ukraine gefahren. Der Weg war das Ziel. Daraus wurde damals die Strecke Lemberg – Rivne – Kiew – Tscherkassy – Dnipropetrovsk – Berdansk – Krim – Odessa – Ushgorod. Ein Motorradabenteuer, an das ich in diesen Tagen immer wieder denke. Auch an kaputte Straßen, bedrückende Ansichten, Müll überall, irre Verkehrsverhältnisse. Die Ukraine war damals und war bis jetzt ein Land, in dem man die Mühe der Menschen allerorten sah, aus den Hinterlassenschaften der ukrainischen Sowjetrepublik ein modernes Land zu machen. Und die Schwierigkeiten dabei – angefangen von (damals) korrupten Polizisten, die für Geld auch mal eine angedrohte Strafe sein ließen und mich stattdessen wie bei einer Staatseskorte mit Blaulicht zum Ziel führten. Weiter über Unterkünfte, in denen horrende Preise aufgerufen worden wären, hätte man nicht erkannt, dass ich die Hinweise mit den Zimmerpreisen trotz kyrillischer Schrift sehr wohl lesen kann. Habt ihr schon mal versucht, in nassen Motorradklamotten ein Stehklo zu benutzen? Auch so eine Erinnerung, die ich nie vergessen werden. Nix typisch Ukrainisches, aber eben eine Erinnerung.
Später lernte ich noch einmal eine Stadt kennen, durch die ich 2009 zufällig gefahren bin – Nikolaev. Von dort kommt meine liebe Ehefrau. Vor reichlich zwei Jahren haben wir in ihrer Heimatstadt geheiratet. In Odessa waren wir oft gemeinsam, schon deshalb, weil man von dort per Flugzeug gut nach Deutschland kam. Ende dieses Monats wollte sie wieder dorthin fliegen, ich plan(t)e einen Roadtrip mit dem Auto in die Ukraine – den zweiten. Zu ihrem Bruder, meinem Schwager, der auch in Nikolaev wohnt, in der Plattenbau-Eigentumswohnung, die einst ihre Eltern gekauft haben. Um mit ihm ein bisschen Wodka zu trinken, um mit meiner lieben Frau durch ihre Heimatstadt zu spazieren, um das Grab ihrer Eltern zu besuchen, um ein Bier an einem der zwei großen Flüsse zu genießen.
Und nun? Seit dieser Krieg losging ist sie (verständlicherweise) wie verändert. Sie saugt Nachrichten geradezu auf, liest pauselos bei Facebook, Whatsapp, Telegram, telefoniert mit ihrem Bruder und Freunden zig Mal am Tag, schläft schlecht. Die vergangene Nacht so gut wie gar nicht, denn seit gestern Abend kommen Videos und Fotos von Schießereien und Detonationen in Nikolaev, schlimme Fake-News machen die Runde und haben trotz Fake Wirkung, natürlich wurde ihr Flug nach Odessa gecancelt (gestern)… Und ich kann nichts machen, jedenfalls nichts Nachhaltiges. Mich kotzt das an!
Und dann komme ich auch noch aus einer Stadt, in der der irre Diktator Wladimir Putin als KGB-Offizier gearbeitet hat, später als Staatsmann zu Gast war, einen Opernball-Orden bekommen hat und nun auch noch den Ex-Chef der Oper, dessen Idee dieser Ball war, zum russischen Ehrenbürger gemacht hat. Auch das kotzt mich an! Dresden/csp
PS: Weil ich gerade so schön in Fahrt bin: Was mich auch schon angekotzt hat – die Besetzung der Krim und des Donbas durch sogenannte Separatisten – Kriminelle von Putins Gnaden.